Diagramme im Fokus: Mit MBSE die Systementwicklung im Blick

Stellen wir uns vor, wir wären Teil eines Teams, das ein komplexes System wie ein autonomes Fahrzeug oder einen Computertomographen (CT) entwickelt. Wie behalten wir den Überblick über alle Komponenten, Funktionen und Interaktionen innerhalb des Systems? Eine Möglichkeit, diese Herausforderung zu bewältigen, ist der Einsatz von Modellbasiertem Systems Engineering (MBSE). Dabei nutzen wir Modelle, um Systeme und deren Eigenschaften zu beschreiben, statt alles in rein textueller Form zu dokumentieren. Diagramme, die das Modell visuell darstellen, sind ein wesentlicher Bestandteil von MBSE. In diesem Artikel werden wir uns mit ausgewählten Diagrammtypen sowie deren Vernetzung befassen und anhand eines Fallbeispiels demonstrieren, wie verschiedene Diagrammtypen eingesetzt werden können, um ein Modell zu erstellen.

 

Ein Diagramm ist nur ein Blickwinkel auf das Modell

Doch was meinen wir mit Modell im Kontext MBSE? Ein Modell ist ein abstraktes und vereinfachtes Abbild eines realen oder geplanten Systems. Es ist eine strukturierte Beschreibung der Systemelemente und ihrer Beziehungen zueinander, die dazu verwendet wird, das Verhalten und die Struktur eines Systems zu analysieren, zu simulieren und zu optimieren. Ein Modell ist jedoch immer nur eine Annäherung an die Realität und kann nur unter bestimmten Annahmen Teile der Realität abbilden.

Ein Diagramm fungiert daher als Linse, durch die wir spezifische Aspekte oder das System unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten und analysieren können. Ein Systemkontext-Diagramm schafft beispielsweise eine externe Betrachtung des Systems mit Blick auf Elemente, die explizit nicht Teil des Systems sind, jedoch mit diesem interagieren. So können die Grenzen des Systems sowie die Schnittstellen nach außen klar definiert werden.

 

Ein tiefer Blick ins Systemmodell durch verschiedene Diagramme

Betrachten wir nun ein Fallbeispiel eines Roboter-Spielzeugautos, um die Anwendung verschiedener Diagrammtypen in MBSE zu veranschaulichen. Es gibt neben dem bereits erwähnten Systemkontext-Diagramm eine Reihe von Diagrammtypen, die häufig in MBSE verwendet werden. Diese dienen jeweils einem bestimmten Zweck:

  • Use Case Diagramm
  • Aktivitätsdiagramm
  • Status Diagramm
  • Sequenzdiagramm
  • Block Definition Diagramm
  • Internal Block Diagramm

Diese Diagramme helfen uns, verschiedene Aspekte des Systems zu verstehen und zu visualisieren.

 

Use Case Diagramm und Aktivitätsdiagramm

Use Case Diagramme visualisieren die Interaktionen zwischen einem System – in unserem Fall das „Robo Toy Car“ – und seinen Akteuren, wie beispielsweise dem „User: Driver“. Sie zeigen, welche Anwendungsfälle wie „Access Car“ das System ausführen kann und wie es mit den verschiedenen Benutzern oder externen Systemen interagiert. Aktivitätsdiagramme betrachten Anwendungsfälle genauer. Sie beschreiben den Ablauf von Aktivitäten zum Beispiel beim Zugang des Spielzeugautos und ermöglichen, die zugrundliegenden Prozesse im System zu modellieren. Sie zeigen die Reihenfolge der einzelnen Schritte eines Anwendungsfalles und die Bedingungen für den Übergang zwischen den Aktivitäten. So wird dem Nutzer nur Zugang gewährt, wenn die Authentifizierung erfolgreich war.

System "Robo Toy Car"
Abbildung 1: System „Robo Toy Car“ – Use Case Diagramm (links) und Aktivitätsdiagramm für „Access Car“ (rechts)

 

Status Diagramm und Sequenzdiagramm

Weitere Diagrammtypen wie das Status Diagramm ermöglichen die Darstellung des Verhaltens eines Systems in Abhängigkeit von seinen internen Zuständen. Sie zeigen, wie sich das System in verschiedenen Situationen verhält und wie es auf bestimmte Ereignisse reagiert. Sequenzdiagramme veranschaulichen die zeitliche Abfolge von Nachrichten und Interaktionen zwischen den verschiedenen Komponenten oder Akteuren im System.

 

Block Definition Diagramm und Internal Block Diagramm

Durch die Verwendung von Block Definition Diagrammen (BDDs) und Internal Block Diagrammen (IBDs) kann man die funktionale Zerlegung des Systems hierarchisch und strukturiert visualisieren. Dadurch wird es einfacher, die Komplexität des Systems zu verstehen und zu managen. Zusätzlich trägt es dazu bei, dass das System modular und skalierbar gestaltet und umgesetzt werden kann. Das Gesamtsystem wird in kleinere, überschaubare Blöcke zerlegt, wobei jede dieser Einheiten spezifisch definierte Funktionen erfüllt. Diese Blöcke werden in den IBDs weiter unterteilt, indem ihre interne Struktur dargestellt wird. Dabei wird gezeigt, welche Elemente in einem Block enthalten sind und wie diese miteinander interagieren. Durch diese Darstellung werden sowohl Funktionen als auch deren Abhängigkeiten sichtbar. Dies hilft, redundante Funktionen oder unnötige Abhängigkeiten zu identifizieren, und kann zu einem vereinfachten und optimierten System führen. Durch den Fokus auf Modularität kann man Teile des Systems weitestgehend unabhängig voneinander entwickeln und testen, was die Effizienz des Entwicklungsprozesses erhöht.

 

Insgesamt tragen Diagramme dazu bei, die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Entwicklungsteams zu verbessern. Sie schaffen eine gemeinsame Basis für Diskussionen, visualisieren Zusammenhänge und machen Schnittstellen auf Systemebene, aber auch in den Entwicklungsteams, deutlich sichtbar. Durch ihre Anwendung kann man Missverständnisse reduzieren, die Effizienz steigern und letztendlich bessere Ergebnisse erzielen.

 

Abstraktion als Herausforderung

Eine zentrale Herausforderung bei der Modellierung von Systemen liegt darin, den Fokus zunächst auf die Beschreibung des Problemraums zu legen. In den Diagrammen sollen die Funktionen des Systems lösungsunabhängig dargestellt werden. Es geht darum, das Problem und die Anforderungen zu beschreiben, statt bereits Lösungen zu antizipieren. Das erfordert eine genaue Analyse und Beschreibung der Funktionalitäten, Interaktionen und Schnittstellen im System, um eine klare und umfassende Grundlage für die Entwicklung zu schaffen. Die Schwierigkeit besteht darin, eine geeignete Abstraktionsebene für die Diagramme zu wählen und konsequent beizubehalten, um sicherzustellen, dass sie das Problem und die Anforderungen korrekt widerspiegeln, ohne vorzeitig Lösungen vorwegzunehmen oder verschiedene Abstraktionsebenen zu vermischen.

 

Die Essenz der Vernetzung: Das Ganze aus einzelnen Diagrammen

Jedes Diagramm bietet eine spezifische Sicht auf das Systemmodell. So kann es dabei helfen, bestimmte Aspekte des Systems besser zu kommunizieren oder verständlich zu machen. Indem wir diese verschiedenen Diagrammtypen kombinieren und miteinander verknüpfen, können wir ein umfassendes Bild des Systems erstellen und so dessen Funktionalität, Struktur und Verhalten effektiv darstellen.

Wir können sehen, wie das System funktioniert, welche Komponenten es hat, wie sie zusammenarbeiten und wie sie sich verhalten. Es ist wichtig zu verstehen, dass die verschiedenen Diagrammtypen miteinander verknüpft sind und dass Informationen zwischen ihnen fließen. Es ist meist nicht ausreichend, nur ein Diagramm zu erstellen, ohne es in Bezug zu setzen. Ein effektives Modell entsteht durch die Vernetzung der Diagramme und die Ergänzung von Informationen zwischen ihnen.

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