Digitale Etikette

Vor einiger Zeit habe ich auf heise.de einen Beitrag zum Thema „sozialverträglicher Umgang mit Handys“ gelesen. Der Autor postuliert elf Regeln, die uns den Umgang mit Smartphones im Alltag erleichtern und darauf abzielen, unser Sozialleben nicht zu gefährden:

Digitale Etikette

  1. Das reale Gegenüber hat immer Priorität. Beschäftige Dich bei einem Date nicht ständig mit dem Smartphone. Und wenn‘s wirklich wichtig ist, frag um Erlaubnis.
  2. Vermittle Deinen Mitmenschen nicht den Eindruck, dass das, womit sie sich gerade in der realen Welt beschäftigen, für Dich langweilig oder unwichtig ist – zum Beispiel durch exzessives Rumdaddeln während einer Besprechung oder eines Vortrags.
  3. Störe Deine Umgebung nicht durch laute Telefonate, Musik oder Tastentöne, durch helle Bildschirme in dunklen Kinosälen oder sichtversperrendes Filmen auf Konzerten.
  4. Beim Autofahren, Radeln, Gehen gilt: Augen und Finger weg vom Bildschirm. Wenn Du glaubst, Du kannst multitasken – vergiss es. Keiner kann es. Du auch nicht.
  5. Das Störungslevel eines Klingeltons ist erfahrungsgemäß direkt proportional zu der Dauer, die es braucht, um das Gerät ganz tief unten aus der Tasche zu fischen. Sieh zu, dass Du Dein Handy findest, wenn es klingelt!
  6. Wenn Du unbedingt Selfies machen willst, steh anderen Leuten nicht im Weg herum.
  7. Nötige anderen nicht Deine Kommunikationskanäle auf. Wer nicht bei WhatsApp oder Facebook ist, hat möglicherweise gute Gründe dafür. Schneide solche Menschen nicht von der Kommunikation ab, sondern sprich sie auf ihren bevorzugten Kanälen an. Auch wenn‘s umständlicher ist.
  8. Klingele nicht bis zur Voicebox durch und sage dann nichts.
  9. Denke mindestens 30 Sekunden über Quelle und Relevanz einer Nachricht nach, bevor Du sie weiterleitest.
  10. Verbreite nicht ungefragt Daten oder Fotos Dritter. Auch nicht von Deinen Kindern.
  11. Blockiere nicht ewig öffentliche Steckdosen. Ist der Akku halbwegs voll, mach sie frei.

Schon verrückt, dass man solche Regeln aufschreiben muss – man sollte annehmen der gesunde Menschenverstand reicht aus, um selbst darauf zu kommen, wie man sich richtig verhält.

Aber tatsächlich, muss ich mich an die eigene Nase fassen – immer gelingt mir das auch nicht, leider.

Im Griff der digitalen Fußfessel

Diese Regeln haben mich an den Vortrag bei einem unserer letzten Sommer-Workshops von Anitra Eggler zum Thema „Kommunikation“ erinnert. Anitra Eggler ist u.a. Autorin der Bücher „E-Mail macht dumm, krank und arm“ und „Facebook macht blöd, blind und erfolglos“. In ihrem Vortrag ging es nicht nur um Smartphones, sondern um Kommunikation allgemein, aber sie hat schon recht, wenn sie sagt, dass es bescheuert ist, ans Handy/Telefon/Smartphone zu gehen, um dem Anrufer zu sagen: „Sorry, ich habe gerade keine Zeit zum Telefonieren“ (Verstoß gegen Regel 1). Wäre man nicht ran gegangen, hätte es das Gegenüber auch mitbekommen.

Es ist faszinierend bis beängstigend, wie sehr uns die digitale Fußfessel im Griff hat. Kaum summt das Smartphone verspürt man den inneren Drang, nachschauen zu müssen, was gerade los ist, um dann festzustellen, dass der Nachbar mal wieder ein Bild von seiner Katze verschickt hat (übrigens: Verstoß gegen Regel 9). Dafür hat man dann seine aktuelle Tätigkeit, sei es im Büro oder in der Freizeit, unterbrochen. Man fragt sich: ist das sinnvoll?

Früher war alles besser…

In solchen Situationen erinnere ich mich übrigens gern an eine Zeit zurück, in denen Nachrichten noch Geld gekostet haben und man sich ganz genau überlegt hat, ob diese einem die 39 Cent wert sind.

Eine gute Erfindung (zumindest beim iPhone) ist der „nicht stören“ Modus. Ich nutze diesen oft bei Besprechungen, oder wenn ich mich mit Freunden treffe. Der Modus deaktiviert alle Notifizierungen (akustisch und haptisch) und lässt Anrufe nur von einer VIP-Liste direkt durch. Regel 1 und Regel 2 bekommt man so ganz gut in den Griff.

Den Klingelton habe ich übrigens grundsätzlich aus (ganz selten, z.B. zu Hause, wenn das Smartphone im Flur liegt, ist er mal an), um niemanden damit zu nerven. Ich erinnere mich gern an eine Besprechung als ein Handy in voller Lautstärke die FC Bayern Fanhymne anfängt zu spielen und der Besitzer erst nach Summen der Melodie und einer ausreichend langen Spieldauer ans Telefon ging (Regel 1,2 und 5) – FC Bayern Fans mögen mir verzeihen, aber das nervt!

Eine Gruppe von Unbeugsamen

Jeder benutzt WhatsApp…
Jeder? Nein! Eine Gruppe von Unbeugsamen hört nicht auf WhatsApp Widerstand zu leisten und benutzt alternative Messenger!

Ich gehöre dazu, denn ich mag WhatsApp nicht. Warum? Angefangen hat alles mit der Übernahme durch Facebook und damit einhergehenden Datenschutzbestimmungen. Danach war ich nicht mehr bereit, diesen Messenger zu installieren. Tatsächlich komme ich bis auf einige Situationen auch sehr gut ohne klar. Die meisten Freunde und Kollegen sind über Threema oder Telegram erreichbar, dann gibt es ja noch iMessage, eMail oder *wuhuu* SMS – ach ja im Zweifel könnte ich sogar anrufen.

Bei WhatsApp Gruppen gibt es nette Menschen, die mich informieren, wenn es etwas wichtiges gibt.

Ja, es gibt Leute, die nicht über jeden beliebigen Kanal zu erreichen sind – erreichbar ist trotzdem jeder – wenn man nur will (Regel 7).

Eltern haften für ihre Kinder

Erst vor ein paar Tagen hat mir ein Arbeitskollege erzählt, dass sein Sohn bei einem Zeltlager war. Auf der Packliste war zu lesen: Smartphones, Handys und Tablets bleiben zu Hause. Tatsächlich hat der Junior sein Smartphone (nahezu) ohne Murren daheim gelassen. Man sollte meinen, bei einigen hundert Kindern und Jugendlichen kommen die auch mal eine Woche ohne digitale Bespaßung aus. Tja, weit gefehlt. Der Sohn meines Arbeitskollegen, war einer der wenigen Ausnahmen, die kein Smartphone dabei hatten.

Ich habe auch von einer befreundeten Lehrerin erzählt bekommen, dass ein Kind nicht mit ins Schullandheim durfte, weil dort Handyverbot herrscht – die Eltern wollten ihre Tochter aber nur mitlassen, wenn diese ihr Smartphone mitnehmen darf. Ich frage mich tatsächlich, wie das früher funktioniert hat. Wie konnten es Eltern aushalten, ihr Kind in den Sommerferien mehrere Tage oder gar Wochen zu einer Jugendfreizeit zu schicken und das einzige Lebenszeichen, das sie erhalten haben, war eine gekritzelte Postkarte mit ungefähr diesem Inhalt: „Hallo Mama + Papa, mir gehts gut, Wetter ist gut, Essen gibts auch. Bis bald“.

Was bringt die Zukunft?

Die spannende Frage ist: wo führt das noch hin?

Ich meine, das sind jetzt die Kinder von Leuten, die ohne Handy aufgewachsen sind.

Wie wird das erst bei den Kindern dieser Kinder?

Klar sind Computer, Smartphones und Tablet nicht mehr wegzudenken – ich möchte mein Tablet auch nicht mehr hergeben. Ich hoffe nur, dass wir den Absprung noch schaffen und das Ding ab und zu auch mal ausgeschaltet lassen. Und vielleicht helfen die 11 Regeln, sich einfach zwischendurch mal selbst in seinem Umgang mit seinem Smartphone zu reflektieren und dafür lieber mal gemeinsam ein Bierchen trinken zu gehen.